Autonome Anonymität



Das neue Auto, auch wenn es noch nicht alles selbst macht, lotst den Fahrer zu einem Parkhaus. An der Einfahrt steigt er aus, und der Wagen findet mithilfe des Parkhauscomputers einen freien Platz. Der ist übrigens noch schmaler als heute, weil niemand mehr die Tür öffnen muss. Diese Vision, vorgetragen vom Bosch-Geschäftsführer Markus Heyn, könnte schon 2020, also in gut zwei Jahren, Wirklichkeit werden. Sie lässt sich analog auf den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und E-Commerce übertragen. 

Voraussetzung dafür ist aber eine umfangreiche Vernetzung von Mensch, Maschine und Infrastruktur. Wer sich noch gestern freute, dass die neuen Schuhe direkt an die Wohnungstür geliefert wurden, ärgert sich heute, weil der Lieferservice in der zweiten Reihe parkt. Hier zeigt sich, dass die Digitalisierungsmedaille zwei Seiten hat, die viel zu selten gleichwertig betrachtet werden. Das müsse sich ändern, forderten die Autoren der Zukunftsstudie „Mobilität. Erfüllung. System." des Münchner Kreises, deren wesentliche Ergebnisse jetzt in Berlin vorgestellt wurden. Wissenschaftler der TU München, von Kantar TNS und anderen Instituten haben Meinungen und Status quo in zwölf Ländern repräsentativ er-forscht und Handlungsfelder identifiziert. 

Unter-stützt wurden sie dabei u. a. von Daimler, Bosch, der Deutschen Telekom, Fujitsu und SAP. Zu-gleich präsentierte die „Plattform Urbane Mobilität", die im Wesentlichen von der Autoindustrie und sieben größeren deutschen Städten vorange-trieben wird, Ergebnisse. Diese sollen helfen, den drohenden Verkehrskollaps zu verhindern - zugunsten einer lebenswerten, „smarten" Stadt.
Die dunkle Seite der Medaille nennt die Münchner Studie auch. 

Die Spur des Autos und damit des Fahrers lässt sich digital ganz leicht auswerten. „Anonymität in der Mobilität von morgen ist eine Illusion", sagte Robert Wieland, Geschäftsführer von Kantar TNS. Die neuen Systeme funktionierten „nur unter Verwendung persönlicher Daten aller beteiligten Akteure". Gegen deren in-transparente und kriminelle Nutzung fordert die Studie „europaweit einheitliche Regeln". 20 % der Bevölkerung seien heute nicht einmal in der Lage, die Vorteile des digitalen Wandels zu.

Nimmt man jene dazu, die es nicht wollen oder die mit den einschlägigen Sicherheitsvorkehrungen überfordert sind, landet man gar bei 40 %. Diese „Offliner" müssten mitgenommen werden. Heyn sagte, es lohne sich, denn der Nutzen sei weit größer als die Risiken.

Es fehle an einer ganzheitlichen Betrachtung und an der Vernetzung der Infrastruktur. „Raus aus dem Silodenken", forderte daher der Münchner Kreis. Dies manifestiert sich etwa in dem Lieferwagen in der zweiten Reihe. Vor lauter Begeisterung über den E-Commerce wurde vergessen, Parkraum für die immer zahlreicher werdenden Lieferanten zu schaffen. „Personen- und Güter-verkehr sind in der intelligenten Stadt der Zu-kunft als Systemverbund zu verstehen und zu be-treiben", heißt es in der Studie. Um von der Digitalisierung zu profitieren, müssen Nutzer ihr Bewegungsprofil den Betreibern des ÖPNV oder der Buchungs- und Navigationsmaschinen ausliefern. Das werden sie aber nur tun, wenn sie die Vorteile erkennen, wie Jörg Lamparter, CEO von Moovel, sagte. Die Daimler-Tochter verbindet das Suchen, Buchen und Beti Zwei Seiten der Medaille: Nur wer die Vorteile der Digitalisierung im Verkehr erkennt, dürfte bereit sein, sein Bewegungsprofil den Betreibern des ÖPNV oder Buchungs- und Navigationsmaschinen zur Verfügung zu stellen. 

zahlen unterschiedlicher Mobilitätsformen wie Bahn, Bus, Taxi und Carsharing per App. Carsharing steht für Hersteller und Städte im Fokus. Es schafft auch für Nicht-Nutzer mehr Platz und Effizienz. Der Chief Digital Officer von Audi, Roland Villinger, bezifferte die derzeitige Nutztmg eines „Selbstbesitzer"-Autos auf 4 % der theoretischen Leistungsfähigkeit. Es steht die meiste Zeit herum, und wenn es bewegt wird, ist es selten ausgelastet. So sinkt mit steigender Akzeptanz des Carsharing zwar die Zahl der absetz-baren Autos. Aber erstens sei der weltweite Markt noch lange nicht gesättigt - etwa in China, Indien oder Afrika -, und zweitens erhöhe sich mit Car-sharing auch die Beanspruchung der Fahrzeuge, sagte Villinger.

Und es öffnet dank Digitalisierung neue Perspektiven. Daimler betreibt mit car2go auch ein großes Carsharing-Geschäft. Lamparter machte klar: „Was wir heute anbieten, ist bereits die Erweiterung des Geschäftsmodells." Der Konzern kümmere sich bereits um die gesamte digitalisierte Mobilitätskette. Denn auch im ÖPNV hat Daimler als Bushersteller vitale Interessen. rb




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